Mittwoch, 10. März 2010

Strelitz und: Der Brief aus Nowosvetlonsk

Strelitz hatte Mühe, durch die knapp zwanzig, in der Hotellobby ebenso lautstark wie barbusig gegen die neu angesetzte Stichwahl zur Lokalverwaltung und der Räte des örtlichen Sowjets, protestierenden Frauen zu gelangen und sein Hotelzimmer zu erreichen. Und als er es erreicht hatte, musste er feststellten, dass er auch dort nicht alleine war.

Nicht, dass Strelitz wirklich überrascht gewesen wäre, sie zu sehen. Es war die Art und Weise, wie sie sich ihm offenbart hatten, die ihn überraschte. Zwei junge Männer, offenbar Russen, der eine mit rasiertem Schädel, eine goldene Kette um den Hals und durchtrainiert, der andere eher schmächtig, mit schwarzen Haaren, die aussahen, als habe sie ein Insekt angefressenen, übergaben ihm eine längliche braune Ledertasche, in der sich offensichtlich ein Radiogerät befand und aus der die Ecke eines Briefes hervor schaute. Und richtig: Es war eine Art Kofferradio, auf ihm stand zu lesen 'Kocmohabt'. Gerade als Strelitz versuchte, der ganzen Sache einen Sinn abzugewinnen sprach ihn aus dem Lautsprecher des Kofferradios eine nette Frauenstimme an, ganz so wie man es aus dem Off der 'Sendung mit der Maus' kennt, und sagte zu ihm "Das ist Russisch und heißt 'Kosmonaut'".

Wortlos setzten sich die beiden Besucher nun auf das Bett in Strelitzens Hotelzimmer und schauten ihn erwartungsvoll an. "Ist das für mich?" fragte Strelitz um die Situation etwas aufzulockern und deutete auf das Kofferradio. Die beiden nickten. Strelitz betrachtete sich das Kofferradio; es schien aus der ehemaligen Sowjetunion zu stammen. Dann sah er sich den Brief näher an. Auf der Vorderseite des Umschlags stand der Satz: "Przechowywac w chlodnym i suchym miejscu." Strelitz rätzelte, erhielt aber Hilfe durch das Radio. "Das ist Polnisch", sagte die Sprecherin und lieferte ihm die Übersetzung gleich mit: "Trocken lagern und vor Wärme schützen."

Deshalb hatten die beiden wohl abgewartet, bis Strelitz im Hotelzimmer angekommen war, denn draußen regnete es ohne Ende. "Kommen Sie aus Polen?" fragte Strelitz seine Besucher. "Noi" sagte der rasierte Schädel, "Nowosvetlonsk". Der andere Besucher nickte Strelitz eifrig zu und holte aus einem Beutel eine Flasche 'Baltica'-Bier heraus, öffnete den Kronkorkenverschluss mit einem Schlag auf die Bettkante, ohne hierbei Spuren oder Kratzer zu verursachen, und hielt sie Strelitz entgegen. Ach so läuft die Sache, dachte der sich und ihm fiel Arthur Dent und das bevorstehende Ende der Welt ein; lediglich die Erdnüsse fehlten noch. "Kommen Sie vielleicht aus dem Baltikum?" fragte Strelitz nach und ging auf das Angebot des Schmächtigen nicht ein. "Noi!" sagte der rasierte Schädel nochmals, diesmal aber wesentlich bestimmter: "R tboЙ Nowosvetlonsk!".

Nun versuchte Strelitz es mit Smaltalk. "Wissen Sie, ich kenne mich bei den Städten Osteuropas nicht so gut aus." entgegnete er und versuchte die Situation damit etwas zu entschärfen. "Wo liegt denn Nowa ... äh ... svetlansk?" "Nowosvetlonsk" sagte diesmal der Schmächtige und fügte, während er auf den Bref deutete, "Du lesen!" hinzu. Strelitz nahm nun den Brief aus der Ledertasche. Zu seiner Überraschung war auf der Rückseite des Briefumschlags "Für Strelitz" zu lesen und als Absender war angegeben: "Die Einhandesser".

Aber nicht nur das verstand Strelitz nicht - auch der Brief selbst lies einiges zu wünschen übrig: "Grüß Dich", stand da zu lesen. "Du wunderst Dich vielleicht, von uns so einen Brief zu erhalten, aber so ist das manchmal im Leben. EXPECT THE UNEXPECTED! Du hast uns erschaffen und die Geister, die man rief ... na ja. Also am Besten gleich zum Grund für unser Schreiben an Dich:

Schön viele Dinge und Ideen hast Du fabriziert, aber das EINE fehlt noch. Dabei ist es so einfach! Es fehlt Dir ein Lebenskonzept. Gut, das wussten wir ja schon lange, aber, dass Dir das Konzept sozusagen auf der Hand (resp.: in Deiner Hand) liegt, das scheinst Du nicht zu wissen: DIE ZEITMASCHINE.

Keine Frage: Ihr Deutschen seid so toll, kämpft zweimal gegen die ganze Welt, werdet beide Male besiegt, und zweimal kommt ihr mächtiger zurück als je zuvor. Also wer auf der Welt sollte die Zeitmaschine bauen, außer ein Deutscher? Und niemandem anderem außer Dir würde man das abnehmen. Und Du solltest es Dir auch von keinem anderen abnehmen lassen. Deine Arbeit an DER ZEITMASCHINE würde zudem allen Bewunderern die kreative Pause erklären helfen, die Du schon so lange geplant hast. Mit der Zeitmaschine würdest Du unsterblich werden können - und glaube uns: Du kannst es!

Später würde dann vielleicht sogar ein Spektakel daraus werden. Wer kann so etwas schon ermessen? Eigentlich nur Du allein: Mastermind Strelitz; kein Christus mehr von Nazareth, sondern Petruski, ein Missionar in eigener Sache (und natürlich nationalen Angelegenheiten und Affären). Ein Ziel, für das es sich zu leiden lohnt!

Und es ist unbestritten, dass Du es schaffen kannst und es auch schaffen wirst. Deine westdeutschen Bewunderer werden Dich ewig lieben und die Ostdeutschen werden Dir zu Füßen liegen. Denn nichts geringeres erwarten sie von Dir als: DIE ZEITMASCHINE. - Denk darüber nach.

Mehr können wir derzeit nicht für Dich tun.

Mit formidablen Grüßen

Deine Einhandesser"

Strelitz blickte auf. Da, wo gerade noch die beiden Russen auf seinem Hotelbett gesessen hatten, waren jetzt zwei Kulen in der Bettdecke zu sehen. Nur die Flasche 'Baltica'-Bier stand davor. Strelitz versuchte sich zu erinnern, wqs er wahrgenommen hatte, als er den Brief laß. Genau, der rasierte Schädel mit der Goldkette hatte die Bierflasche gerade angesetzt, als er die ersten Zeilen des Briefes gelesen hatte. Der schmächtge Besuchen hatte kurz danach die Flasche übernommen und ebenfalls daraus getrunken.

Strelitz schaute auf den Tisch und fand dort immer noch das Kofferradio vor. Er schaltete es ein und hörte Jon Anderson singen "... I feel lost in the City ..." gefolgt von den letzten Takten aus "Heart Of The Sunrise". Strelitz betrachtete sich nun die Skala des Radios und versuchte herauszufinden, welche Sendefrequenz eingestellt war. Es war Mittelwelle 531 Khz.

Strelitz Erinnerung an seine Jugendzeit kam langsam zurück. War nicht auf der Frontscheibe seines alten Grundig Radios, das er vor Jahren schon zum Sperrmüll gegeben hatte, bei 531 Khz neben dem Schweizerischer Landessender 'Beromünster' auch 'Nowosvetlonsk' aufgedruckt gewesen? Aber wer zum Teufel waren die Einhandesser? Und warum waren die eiligen zwei Könige zu ihm gekommen; hatten sie sich vielleicht gar im Stall geirrt. Strelitz blicke noch einmal auf den Brief und da stand sein Name zu lesen. Kein Zweifel: man hatte zu ihm gewollt und zu niemandem anders.

Er nahm das Kofferradio vom Tisch, las noch einmal 'Kocmohabt', musste unwillkürlich schmunzeln, legte den Brief vorsichtig ganz nach unten in seine Sporttasche, packte das Radio und seine anderen Dinge hinzu, bezahlte an der Rezeption so schnell wie möglich seine Rechnung und ging eilig aus dem Hotel, wobei er die inzwischen vor dem Hotel protestierenden Frauen keines Blickes würdigte.

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